Tom Koenigs ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Zuvor war er u.a. Beauftragter für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe ins Auswärtige Amt der deutschen Bundesregierung und Sonderbeauftragter der UN für die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA). Sein Gastbeitrag „Krieg gegen Drogen ist gescheitert“ in der Frankfurter Rundschau am 7.11.2010 fand einige Beachtung. In seinem Thesenpapier „Der Drogenkrieg lässt sich nicht mit militärischen Mitteln gewinnen – wir müssen ihn mit Entkriminalisierung beenden“ begründet er sein Forderung ausführlich. Das Thesenpapier gibt es auf seine Website als PDF Datei, zur besseren Verfügbarkeit hier noch eine HTML Version davon, die Fußnoten habe ich an den entsprechenden Stellen in Klammern eingefügt:
Der Drogenkrieg lässt sich nicht mit militärischen Mitteln gewinnen – wir müssen ihn mit Entkriminalisierung beenden
Drogenprohibition – die gefährlichste Sinnlosigkeit der Neuzeit
Die herrschende Drogenprohibitionspolitik hat einen blutigen Krieg entfesselt. Er weitet sich aus. Die hohen Gewinne im Drogengeschäft (Anbau, Veredelung, Groß- und Einzelhandel) befeuern diesen Krieg. Die Kriminalisierung von Beschaffung, Besitz und Gebrauch von Drogen vermehren die Opfer und behindern Aufklärung, Prävention und Behandlung der Drogenkranken. Die Ansteckung mit HIV/Aids durch nicht sterile Spritzen wird durch die Illegalität von Drogenkonsum gefördert. Nur eine zügige, schrittweise, weltweite, konsequente und völlige Entkriminalisierung des Drogenanbaus, – handels und – konsums kann diesen Krieg beenden. Er ist durch militärisch, polizeilich und juristisch gestützte Repression nicht zu gewinnen.
1. Der Narco-Krieg in Mexiko ist verlustreicher als der Krieg in Afghanistan
Die Drogenprohibition treibt die Preise in die Höhe. Das schafft Profite, um die auf Leben und Tod gekämpft wird. In Mexiko sterben derzeit mehr Menschen als in Afghanistan. Seit 2007 gab es in Afghanistan 8.700 Tote. In Mexiko starben seit der Militarisierung im Kampf gegen die Drogen etwa im gleichen Zeitraum fast 30.000. Beide Kriege sind militärisch nicht zu gewinnen.
Nicht nur Mexiko, wo der Drogenkrieg zur Zeit im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit steht, ist betroffen. In Guatemala sterben im Jahr je 12 Menschen pro hunderttausend Einwohnern. Das sind auf die gesamte Bevölkerung bezogen viermal so viele wie in Mexiko. Es wird erpresst, entführt und vor laufender Kamera gemordet. Leichenteile werden per Post verschickt. Zivilisten geraten in die Schusslinie von Kartellen, Polizei oder Militär. Ohne die exorbitanten Gewinne durch Drogen, würden diese Kriege nicht geführt. Nach Jahrzehnten einer falschen Drogenpolitik ist radikales Umdenken nötig: Jedes Element der Drogenwirtschaft von der Produktion über den Handel bis zum Konsum muss entkriminalisiert wenn auch – wie bei Medikamenten oder Lebensmitteln – staatlich überwacht werden. Dann schrumpfen die Gewinne, die Banden verschwinden, der Krieg ist vorbei.
2. Der globale Krieg gegen die Drogen ist auch ein Kreuzzug gegen die Menschenrechte
Menschenrechtsschutz ist vor allem Schutz des Lebens. Im Drogenkrieg sind aber nicht nur schwache Staaten wie Afghanistan oder Honduras außerstande, ihre Bevölkerung vor Massakern durch Drogenkartelle, Terrorvereinigungen oder korrupte Polizisten und Militärs zu schützen, sondern auch starke wie der Iran oder Kolumbien. Gleichzeitig kommt es unter dem Deckmantel der repressiven Drogenbekämpfung von staatlicher Seite zu massiven Menschenrechtsverletzungen. Willkürliche Festnahmen (z.B. in Guatemala), außergerichtliche Hinrichtungen (z.B. in Mexiko), „Verschwindenlassen“ (z.B. in Indonesien) und Todesstrafen für Drogenabhängige (z.B. in Saudi-Arabien oder China) sind vielerorts gängige Praxis. Drogenabhängige sind in hohem Maß von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen. Es handelt sich oft um Menschen, die wegen kriegerischen Auseinandersetzungen aus ihrer Heimat fliehen mussten, Straßenkinder, Frauen in der Prostitution und HIV-Infizierte.
In den VN-Drogenkonventionen fehlt der Bezug auf Menschenrechte weitgehend Barrett, Damon; Nowak, Manfred (2009): The United Nations and Drug Policy. Towards a Human Rights Based Approach. In: Constantinides, Aristotle; Zaikos, Nikos: The Diversity of International Law, 449-447. Der Fokus liegt auf Repression. Das VN-Drogenkontrollsystem – stark von amerikanischen Prohibitionsideologien geprägt, ist Teil des Problems und selten der Lösung. Wenn man die Drogenproblematik vor allem aus repressiver Perspektive betrachtet und Erfolge in Kilogramm und Konsumraten misst, wird man der Komplexität des Problems nicht gerecht. Ein radikaler Wandel in der Drogenpolitik ist überfällig.
3. Mit Polizei und Militär lässt sich die Drogenmafia nicht fassen – mit repressiven Maßnahmen verlieren wir den Kampf gegen die Drogenkriminalität und fördern die Entstehung von Narco- Staaten
Die Antwort an die Drogenmafia heißt bislang Militarisierung. Das hat in Guatemala, Kolumbien, Mexiko, Afghanistan und anderen Staaten jahrzehntelang nur zu einer grotesken Aufrüstung, unzähligen Toten, schweren Menschenrechtsverletzungen und allenfalls punktuellen Erfolgen wie einzelnen Festnahmen geführt. Staatliche Strukturen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit werden geschwächt. Das ist in Nachkriegsgesellschaften besonders problematisch. In Guatemala haben sich die Repressionskräfte eine relative Autonomie im politischen System gesichert und werden kaum von der Politik kontrolliert. Die Erlöse aus dem Drogengeschäft sind doppelt so hoch wie das legale Bruttoinlandsprodukt. Regierung, Streitkräfte, Polizei und Justiz sind von der Drogenmafia korrumpiert oder infiltriert. Die Grenzen zwischen legalen und illegalen Strukturen zerfließen. Wie sollen Polizei- oder Militärmaßnahmen hier greifen?
Die hohen Gewinne lassen sowohl verbrauchsnahe kriminelle Jugend-Milieus (Maras) entstehen, als auch große kriminelle Banden (Kartelle) zu mächtigen Gruppen mit paramilitärischen Strukturen aufsteigen, die über moderne, den staatlichen Kräften oft überlegene Waffensysteme verfügen und Terror (z.B. Al Qaida) und Kriege wie in Zentralasien und Afrika finanzieren. Ohne ein Schrumpfen der Gewinnmargen erreichen wir mit gutgemeinter Entwicklungszusammenarbeit und Polizeiausbildung in Staaten wie Afghanistan oder Guatemala nichts: keine Erfolge im Kampf gegen Korruption, keine effektiven staatlichen Strukturen, keine Sicherheit im Land und in den Nachbarstaaten und keine Verbesserung der angespannten Menschenrechtslage.
Auch die von den USA für Kolumbien und Afghanistan gepriesene Produktionsvernichtung (eradication) geht am Problem vorbei; wenn der Anbau von Drogen das 10fache des Anbaus von legalen Produkten erbringt, nutzen die Drogenhändler die wirtschaftliche Abhängigkeit der Bauern rigoros aus. Ein Bürgerkrieg gegen die Drogenmafia hilft niemand aus seiner Armut.
4. Die Prohibition von Drogen wird als eine der größten Sinnlosigkeiten der Neuzeit in die Geschichte eingehen. Die gesamte Drogenwirtschaft von der Produktion über den Handel bis zum Konsum muss aus trüben Schatten geholt, entkriminalisiert und staatlich reguliert werden. Nur das kann der Drogenkriminalität die entscheidende die ökonomische Grundlage entziehen.
Die Konsequenzen der Drogenbekämpfung sind oft noch gefährlicher als die Drogen selbst. Keine andere politische Strategie bringt Kriminellen, Terroristen und korrupten Beamten so viel Ertrag ein wie die Drogenprohibition. Kein anderes politisches Konzept erzeugt so viel Gewalt, Korruption und die Ausbreitung von HIV/AIDS, Hepatitis und anderen Krankheiten, der vor allem die traditionellen Gesellschaften (z.B. Iran) schutzlos ausgeliefert sind.
Die Ex-Präsidenten von Mexiko, Vincente Fox und Ernesto Zedillo, der Ex-Präsident von Brasilien, Fernando Henrique Cardoso, und der Ex-Präsident von Kolumbien, César Gaviria haben das Tabu gebrochen und sprechen sich inzwischen für eine Legalisierung der Produktion, des Handels und des Konsums von Drogen aus. (Drugs and Democracy: Towards a Paradigm Shift. Statement by the Latin American Commission on Drugs and Democracy, February 2009)
Die Prohibition ist Gewinngarant der Drogenkriminalität. Jede Verschärfung des Verbots, jede Aktion der harten Hand (mano dura), jede neue polizeiliche, militärische oder strafrechtliche Maßnahme vergrößert die Risikoprämien der Händler. Der größte Teil der Gewinne wird von den Großhändlern und den Dealern gemacht, die an die Endkunden in den Zielländern verkaufen. 2008 erhielten kolumbianische Bauern ca. 450 Euro pro Kilo Kokain. Zwischenhändler zahlten den Transporteuren 1500 Euro, in Deutschland kostet das Kilogramm Kokain zwischen 25.000 und 50.000 Euro. Der Ertrag hat sich verhundertfacht. Für ein Kilogramm Kaffee erhalten die Bauern in Kolumbien 1 Euro, in Deutschland zahlt man 2 bis 8 Euro.
Durch Prohibition wird das Produkt Droge künstlich verknappt, obwohl es wie Kaffee in unbegrenzter Menge produzierbar ist. Das macht die Kartelle so mächtig und das Drogengeschäft so lukrativ. Erst durch eine Entkriminalisierung der Produktion, des Handels und des Konsums werden die Preise einbrechen. Damit wird der Drogenkriminalität die Existenzgrundlage entzogen.
5. Eine Entkriminalisierung von Drogen in Deutschland führt nicht zu mehr sondern zu weniger Drogenkonsum- und Drogentoten. Präventive und schadensmindernde Maßnahmen könnten durch Einsparungen am Repressionsapparat ausgeweitet werden.
„All business is demand driven“ – es macht keinen Sinn, die Verantwortung für das Drogenproblem allein an die Produzentenstaaten abzuschieben. Wir müssen gerade auf der Nachfrageseite, bei uns, geeignete Lösungen entwickeln. Dass Prohibition nicht funktioniert, zeigt am deutlichsten die Situation in deutschen Gefängnissen. Dort ist das Leben scheinbar stärker überwacht und kontrolliert als auf der Straße, und dennoch werden Drogen hier rege gehandelt. Mindestens 16% der männlichen und 19% der weiblichen Insassen in deutschen Gefängnissen sind drogenabhängig und konsumieren dort illegal.
Wir verschwenden enorme Ressourcen für Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichtsprozesse und Gefängnisaufenthalte. 2009 lag der Anteil der aufgrund von Drogendelikten Inhaftierten bei 15% (ohne Beschaffungskriminalität!). Allein 2006 wurden für den Strafvollzug im Zusammenhang mit Drogendelikten ca. 850 Mio. Euro ausgegeben. Hinzu kommen die Kosten für Maßnahmen wie Zeugenschutzprogramme, kontrollierte Transporte, Observationen, akustische Wohnraum- und Telefonüberwachungen und komplizierte kriminaltechnische Analysen zur Herkunftsbestimmung. Obwohl die Drogenkriminalität so bisher kaum gedämpft werden konnte, suggeriert das gewaltige Sortiment an Sanktionsmaßnahmen eine staatliche Beherrschung des Problems. Davon sind wir weit entfernt!
Drogenkonsumenten brauchen keine Gefängnisstrafen sondern eine gesundheitliche Betreuung. Durch eine Entkriminalisierung könnte man erhebliche freiwerdende Mittel in wirkungsvollere präventive Aufklärungs- und schadensmindernde Maßnahmen investieren.
Aus einer Studie des Cato Institutes geht hervor, dass der Drogenkonsum in Portugal nach einer Entkriminalisierung deutlich zurückgegangen ist (Greenwald, Glenn (2009): Drug Criminalization in Portugal: Lessons for Creating Fair and Successful Drug Policies. The Cato Institute, Washington D.C.). Nachdem Portugal 2001 als erstes europäisches Land den Besitz und Konsum von allen Drogen entkriminalisiert hat, ist keines der von manchen Prohibitions- Apologeten alptraumhaften Zukunftsszenarios – etwa eines ungezügelten Drogenkonsum oder eines Verfalls Lissabons zum touristischen Drogenparadies – eingetroffen. Zwischen 2001 und 2006 sank dort die Drogengebrauchsrate von Jugendlichen von 2,5 auf 1,8%. Die HIV-Infektionen sanken im Vergleich zur EU oder zu den USA deutlich. In den USA ist die Rate des illegalen Cannabis- und Kokaingebrauchs trotz der streng repressiven Drogenpolitik mit 42% und 16% weltweit am höchsten. In den Niederlanden, wo eine liberale Politik gefahren wird, haben nur 19,8% der Bevölkerung Cannabis und 1,9% Kokain genutzt. Das zeigt einen richtigen Weg.
6. Drogen sollten über Apotheken abgegeben und staatlich in ihrer Qualität kontrolliert werden. Das reduziert die Anzahl der Drogentoten.
Eine Kriminalisierung von Drogen wirkt sich für Süchtige kontraproduktiv aus. Angebote zur Gesundheitsberatung, Aufklärung und Schadensminderung geraten unter Legitimitätsdruck und werden nicht genutzt. In der Illegalität sind Süchtige höheren Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Die häufig miserable Qualität illegaler Stoffe unterliegt keiner Kontrolle, häufig werden verunreinigte Spritzen genutzt. An Überdosis, Vergiftung und Infektion sterben mehr Drogenkranke als an der Sucht selbst. Prohibition bedeutet Verzicht auf eine effiziente staatliche Gesundheitsregulierung des Drogenproblems.
In Frankfurt hat die legale Abgabe von Substitutionsmitteln und die Entkriminalisierung des Konsums in Druckräumen die Anzahl der Drogentoten drastisch vermindert. Von 147 Drogentoten im Jahr 1991 sank die Zahl der Drogentoten auf 47 im Jahr 1995. In Portugal, ist in Folger der Entkriminalisierung die Gesamtzahl der Drogentoten von 400 im Jahr 1999 auf 290 im Jahr 2006 gesunken.
7. Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept aus Entkriminalisierung der gesamten Drogenwirtschaft, präventiver Aufklärung und Schadensminderung
Beim Tabak setzt man auf Aufklärung, berichtet über Schadstoffe auf jeder Packung, vermindert die Werbung und erhebt Steuern. Da Konsum und Handel legal sind, gibt es keine Toten beim Anbau und auf Handelswegen, es gibt keine Tabakwirtschaft, die den Weltfrieden gefährdet. Entkriminalisierung von Drogen ist kein Eingeständnis der Unvermeidbarkeit von Drogenkonsum, sondern die effizienteste Strategie, Drogenabhängigkeit und damit einhergehende Schäden menschenrechtskonform zu reduzieren. Die wichtigsten Eckpunkte einer solchen Strategie sind die Entkriminalisierung der Produktion, des Handels und des Konsums von Drogen sowie eine Nachfragereduzierung durch präventive Aufklärungsmaßnahmen und einen Ausbau der Maßnahmen zur Schadensminderung wie Beratungen, Entziehungskuren, Druckräume, Drogenqualitätskontrolle und staatlich kontrollierte Abgaben durch Apotheken.
Als die Alkohol-Prohibition in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr Opfer forderte, Kriminalität und Banden hervorbrachte, die den Rechtsstaat bedrohten, setzten sich einige mutige Politiker für eine damals höchst umstrittene Entkriminalisierung ein.
Die weltweit steigende Zahl der Opfer, die Unregierbarkeit der Narco-Staaten, die Verbindungen zum Terrorismus und die hohen Infektionsraten von HIV/Aids sollten uns überzeugen zu Beginn des 21. Jahrhundert ebenso mutig zu sein.